Meinen September habe ich auf einem kleinen Dorf nördlich von Lübeck verbracht. Obwohl vieles für mich, die ich ein absolutes Stadtkind bin, eine Umstellung war kann ich jetzt sagen: Ich möchte Pfarrerin werden. Trotz allem.
Auf der Insel der Seligen
Nach vier Jahren Ostdeutschland war ich wieder in meiner Norddeutschen Heimat. Wahnsinn: Hier ist noch die große Mehrheit der Dorfbewohner Kirchenmitglied. Die Kirche ist eine Institution, genau wie das Rathaus und die Schule. Es ist wichtig, dass es all das gibt, auch wenn man gerade keinen Bedarf hat. Die Kirche soll im Dorf bleiben und da sein, wenn man sie braucht – vor allem an den Wendepunkten des Lebens. Neben den Menschen, für die die Kirche zwar wichtig, aber nicht Teil des alltäglichen Lebens ist, gibt es aber auch tatsächlich noch Menschen, die hier Sonntags in die Kirche gehen. Und gar nicht so wenige, die sich engagieren, im Kirchgemeinderat, bei der Motoradgottesdienst-Vorbereitung, in der Jugendarbeit. Zu all diesen überraschenden Dingen ist hier auch noch Geld vorhanden, um Sekretärinnen, eine Küsterin und eine Jugenddiakonin zu bezahlen.
Hätte nicht jeder Konfi ein Smartphone, könnte man denken, man wäre ein paar Jahrzehnte in der Zeit gereist.
Landpfarrer- und Pfarrhausdasein
Wie die Kirche ist auch der Pfarrer eine Institution. Jemand, der seinen festen Platz hat im Dorf. Eine Autorität. Der Präsenz zeigen sollte, bei Feuerwehr- und Schützenfesten, bei Goldenen Hochzeiten und runden Geburtstagen. Mein Anleiter, seit 20 Jahren in diesem Dorf, trennt nicht zwischen Privatleben und Beruf: „Es ist mehr als ein Job.“ Das heißt, dass es keinen freien Tag gibt, dass die Familie eingebunden ist ins Gemeindeleben und der Bibelkreis im Esszimmer des Pfarrhauses stattfindet. Ein Diensttelefon gibt es nicht und so rufen schon auch mal zu unmöglichen Zeiten Menschen an. Nicht unbedingt, weil es einen Notfall gibt, sondern auch, um sich für den Kinderflohmarkt im Gemeindehaus anzumelden.
Alles ein bisschen viel für mich. Ich bräuchte klarere Grenzen und Strukturen und mehr Privatsphäre. Ich bin nicht um jeden Preis bereit, um der Institution „Pfarrer“ willen Erwartungen anderer zu erfüllen. Oder Aufgaben zu übernehmen, die ich nicht als pastorale Aufgaben ansehe. Ich bin nicht sicher, ob das an mir liegt, oder ob einfach dieses Pfarr- und Pfarrhausmodell ein Auslauf-Modell ist.
Landleben
Fazit aus 4 Wochen Landleben: Ich werde wohl doch vielleicht irgendwann mal meinen Führerschein machen. Denn was die Kirche angeht, zeigt sich hier eine große Beständigkeit.
Bei der Infrastruktur ist das allerdings nicht der Fall: Tante-Emma-Lädchen im Dorf und eine Post alle paar Straßenecken gehören auch hier der Vergangenheit an. Wer nicht 6,7 km zum nächsten Supermarkt radeln oder mehrere Stunden auf den nächsten Bus warten will, ist aufs Auto angewiesen. Für manche alte Menschen ein echtes Problem. Und das war Schleswig-Holstein – nicht Mecklenburg.
Der Pfarrer – ein Verwalter?
Na klar, irgendwie wusste man es auch vorher, dass mehr zum Pfarrberuf gehört als Predigten schreiben und Menschen begleiten. Trotzdem war es für mich dann überraschend zu erleben, was alles dranhängt. Zum Beispiel war mir nicht so klar, dass der Pfarrer auch Arbeitgeber ist – dementsprechend auch mal unangenehme Gespräche führen und den Chef raushängen lassen muss. Auf dem Dorf besitzt die Kirche häufig noch Grund und Boden, was bedeutet, dass man auch mit Pachtverträgen und Erbbau-Angelegenheiten zu tun hat. Ich wusste auch nicht, dass jeder Friedhof einen Baumkataster hat und der Pfarrer zumindest Menschen delegieren muss, die Bäume zählen gehen. Vor allem frage ich mich, wie man all das lernt. Ich habe das Gefühl, ein bisschen BWL könnte mir nicht schaden.
Und trotzdem
Trotz vieler Dinge, die neu für mich waren, trotz einiger Dinge, die mich stören, war das Praktikum eine Ermutigung für mich. Dieser Beruf hat so viele gute Seiten. Das Beste sind wahrscheinlich die vielen unterschiedlichen Menschen, die man begleitet. Sie kommen aus völlig verschiedenen Altersgruppen und Lebenssituationen – und entsprechend vielseitig sind die Aufgaben. Egal, mit wem man zu tun hat: Man ist immer mit dem Leben konfrontiert, im guten und im schlechten. Mit den wirklich wesentlichen Dingen des Lebens und der Welt. Dabei kann man dann über den Glauben und über Gott sprechen – als Pfarrer(In) sogar, ohne dabei schief angeschaut zu werden. Die Kirche bietet außerdem einen Ort der Beständigkeit und der Rituale – das gestalten zu können, mit viel Freiheit und ohne einfach nur im Überlieferten zu verharren, macht einfach großen Spaß.
Kurz: Ich glaube, es lohnt sich. Trotz allem.